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Donnerstag, 1. September 2016

Lernen, das Leben zu lieben #Physiolife 2015,12


Wisst ihr, wenn ich eins in meinem letzten Praktikum gelernt habe, dann, dass ich lernen muss, mein Leben zu lieben. Es zu genießen. Alles zu machen, was ich schon immer gerne machen wollte. Alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die ich habe. 
Wenn man mit neurologischen Patienten arbeitet, merkt man, dass es manchmal schneller gehen kann, als man gucken kann. Dass auf einmal nichts mehr ist wie früher. Dass es zu einer großen Aufgabe wird, meine Zähne zu putzen, meinen Alltag zu organisieren und soziale Kontakte zu pflegen. 
Sicher, bei den Einen funktioniert das etwas besser, bei den Anderen schlechter. Aber was ist, wenn ich schwer betroffen bin? Wenn mein Körper nicht mehr tut, was ich von ihm fordere? Wenn ich dabei zusehen muss, wie meine Muskeln immer schwächer werden?
Natürlich gibt es Hilfe. Dafür bin ich als Physio schließlich da und helfe den Leuten gerne. Die meisten Physios tun dies zumindest. Trotzdem ist es für manche Patienten einfach schwierig, mit ihrem Schicksal fertig zu werden. Ich möchte euch von zwei Patienten erzählen, die mir wirklich am Herzen lagen und denen ich gerne mehr und mehr geholfen hätte. 
Der erste Patient ist Familienvater und hat 3 Töchter. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in einem Haus, ist Mitte 40. Dann kommt der Schlaganfall... Sein Leben spielt sich im Rollstuhl ab, er kann nicht mehr sprechen und nur mit den Augen ganz leicht mit seiner Frau kommunizieren. Doch die Augen sind auch ein Problem, denn der Patient hat einen starken Neglekt links. Das bedeutet, dass er seine linke Körperhälfte nicht mehr wahrnimmt und somit sein Kopf und seine Augen immer nach rechts gerichtet sind. Das gerade Stellen des Kopfes ist nur durch Hilfe anderer möglich, die Augen bleiben rechts. Stehen ist nur schwer mit Hilfe eines Stehtisches möglich. Gehen ist unmöglich. Ihr könnt euch sicher vorstellen, was das für eine hohe psychische Belastung für die ganze Familie bedeutet?! Ich möchte es mir nicht vorstellen. Manchmal haben Mann und Frau während der Therapie geweint und man selbst steht daneben und weiß nicht wohin mit sich.. 

Die zweite Patientin sitzt ebenfalls im Rollstuhl. Sie hat starke Depressionen und hatte ebenfalls einen Schlaganfall. Ihr Mann steht ihr immer zur Seite, nur leider kann sie das nicht so ganz schätzen. Sie ist ziemlich vergesslich, ich bin mir sicher sie hat Alzheimer. Uns Therapeuten, die jeden Tag für eine Stunde gekommen sind, hat sie nie wieder erkannt. Jeden Tag haben wir uns aufs Neue vorgestellt. Diese Patienten hat es geschafft, mit uns am Rollator zu laufen. Das war ein langer und anstrengender Weg, ich weiß nicht wie viele Male ich den Satz "Ich kann das nicht, ich hab Angst, lassen Sie mich los" gehört habe. Nie hat sie uns geglaubt, dass wir schon einmal gelaufen sind. Auch nicht, als wir sie gefilmt haben: "Das bin ich nicht. Das ist eine andere Frau auf dem Video." Manchmal gab es sogar große Probleme, sie in ihr Zimmer zu bringen, denn "das ist gar nicht mein Zimmer. Das stimmt nicht. Ich bin falsch hier." Als wir ihr ihre Zimmernummer auf die Hand geschrieben haben, hat sie gesagt, dass das die falsche Nummer sei. Warum wir das tun würden. Für den Mann war das immer sehr anstrengend, zumal er ständig versucht hat, sie zu korrigieren. 
Solche Geschichten nimmt man als Therapeut mich nach Hause. Ich denke oft an diese Patienten und frage mich, wie es ihnen wohl geht. Ob noch weitere Erfolge erzielt wurden. Ob die anderen Therapeuten genauso gut helfen können. Das klingt vielleicht etwas eingebildet, aber man möchte ja schon gerne, dass genauso weitergearbeitet wird. Obwohl ich mir eigentlich sicher bin, dass die ausgebildeten Therapeuten das wahrscheinlich noch viel besser machen werden. 
Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Denkanstoß geben und ihr denkt ein kleines bisschen mehr über eure Art zu leben, eure Wünsche und Träume und deren Verwirklichung nach. Macht die Dinge jetzt. Genießt das Leben. Die Freiheit. Seid ihr selbst. 

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